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Standpunkte, Stimmen und Kommentare
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Starrheit gleich Starrsinn? Diese Frage hat sich offenbar ein Designer-Trio gestellt, das in den 60er Jahren ein neues Sitzgefühl entworfen hat.
Hoch die Tassen! Der alte Sack wird vierzig! Die Redensart, die unter Männern als leicht despektierlicher aber dennoch freundschaftlicher Geburtstagsgruß kursiert, findet heute endlich ihre wahre Bestimmung. Unser Sitzstück No.14 ist ein Sack und ein verhältnismäßig alter noch dazu, geht man von der durchschnittlichen Lebensdauer eines durchschnittlichen Sackes aus. „Sacco“ ist jedoch fern von durchschnittlich, denn er ist der erste seiner Art.
Selten fand ein Designer-Team einen treffenderen Namen für ein Möbelstück. "il Sacco", zu Deutsch schlicht "der Sack", bezeichnet nichts anderes als einen zwar ergonomisch geformten aber dennoch einfachen Sack voller Kunststoffkügelchen. Sein Name spielt nicht an, er widmet sich nicht, er bezieht sich auch nicht auf revolutionäre künstlerische oder gestalterische Ideen. Der Sack ist ein Sack, basta!
Ein Rückgrat fehlt ihm gänzlich. Diese Tatsache könnte man als ein Zeichen von mangelndem Charakter missdeuten. Genau das Gegenteil ist jedoch der Fall, denn gerade diese generell so verachtete Rückgratlosigkeit macht den Charakter des Sitzstückes No.14 aus. Sie ist sein Alleinstellungsmerkmal. Sacco kann kein starres, ihn stützendes Rückgrat aus Stahl oder Holz gebrauchen, denn seine Form muss sich den Bedürfnissen und Befindlichkeiten seines Besitzers jeder Zeit anpassen können.
Ein Sessel wie ein Kleid von Coco Chanel …
Bis heute hat die Möbelindustrie unzählige Sacco-Plagiate auf den Markt gebracht. Denn die Idee aus der Sacco entstand, hat das Sitzen neu definiert. Die Gestaltung seiner Hülle, sei sie mit dem Muster eines Fußballes verziert oder aus Kuhfell gefertigt, ist austauschbar, vom individuellen Geschmack abhängig und eigentlich wurscht. Sein anpassungsfähiges und immer neu formbares Innenleben aus tausenden von Polystyrol-Kügelchen war 1968 eine kleine Revolution.
Bis zu Saccos Geburt waren Sessel aufrecht, stolz und oft von edlem Geblüt. Sie brachten ihre zumeist vollkommen unveränderbare Formen mit. Doch gerade Ende der sechziger Jahre begannen Designer den statischen Sessel und seine alt hergebrachte Form erneut in Frage zu stellen. Einer der Gründe war wohl das Come-Back der Bauhaus-Entwürfe.
Schon 1967 landete ein italienisches Designer-Trio für Zanotta einen Treffer tief ins Mark der knall bunten Pop-Kultur. Jonathan de Pas, Donato d´Urbino und Paolo Lomazzi stellten mit ihrem aufblasbaren PVC-Sessel "Blow" die Idee eines wertvollen und langlebigen Möbels auf den Kopf. "Blow" war billig und vergänglich, die Sessel gewordene Schnelllebigkeit. Das Original kostet heute rund 400,- Euro (Blasebalg inklusive), ein Preis, bei dem man sich wünscht, dass der "Windbeutel" nicht zu schnell platzen möge.
… ganz ohne stählernes Korsett
Ein Jahre später, 1968, war es wieder ein Trio, das Zanotta einen neuen Verkaufsschlager brachte. Die drei italienischen Architekten-, Industrie- und Grafikdesigner Piero Gatti, Cesare Paolini und Franco Teodoro entwarfen den "Sacco" nicht in erster Linie nur als Sessel. Vielmehr sollte das Sitzstück No.14 ein günstiges, federleichtes und weiches Wohlfühl-Objekt mit mannigfaltigen Einsatzmöglichkeiten sein. Ihre ursprüngliche Idee, den Sacco mit Wasser zu füllen, verwarfen Sie schnell. Ihre neue Sitzidee sollte schließlich per Hand und nicht mit einem Kran von einem Raum zu anderen zu befördern sein. Ähnlich dachte auch der deutsche Industriedesigner Peter Raake, dessen Papp-Sessel "Otto" in diesem Jahr ebenfalls seinen vierzigsten Geburtstag feiert.
Mobilität und Flexibilität bestimmten die Gedanken der auslaufenden 60er Jahre. Alte Werte landeten im Müll oder fanden sich in ironischen Anspielungen weiterverarbeitet. Ganz so wie es 1970 dann "Joe" tat. Die Designer des oben erwähnten "Blow" waren ja schon in Übung. Die in den 60ern wieder aufgelegten Bauhaus-Ikonen der 20er wurden teils mit kostbarem Handschuhleder bezogen. Also pumpten die drei Windbeutel-Erfinder ganz im Sinne des amerikanischen Künstlers Claes Oldenburg einen Baseballhandschuh auf, in den sich der Körper wie ein Ball hinein schmiegen kann und widmeten ihn dem legendären Baseball-Star Joe DiMaggio. Dieser Sessel wird heute von Poltronava produziert und kostet freundliche 4.800,- Euro. Ganz schön knackig für ein Rebellenstück, das seinen Bezug zum Lounge Chair von Charles Eames nicht leugnen kann, bezog sich doch auch dieses Sitzstück auf die weiche, sichere Höhle des Baseballhandschuhs.
Nicht sitzen sondern lümmeln
Unser Sitzstück No.14 bleibt im Vergleich zu "Joe" recht bescheiden. Mit strapazierfähigem Kunststoff (Naipelle in fast allen Farben, die das Spektrum hergibt) oder Segeltuch bezogen muss der Käufer für Sacco rund 350,- Euro investieren. Mag er die lederne Variante, so kommt er auf ca. 1.000,- Euro.
Doch völlig unabhängig von seinem Marktpreis ist das Sitzstück No.14 wie alle anderen Sessel (und Stühle) der letzten hundert Jahre ein Ausdruck seiner Generation und ihrer technischen Möglichkeiten. Oft waren die "Sitzhilfen" nur das Ziel eines langen Weges der künstlerischen Befreiung von starren Normen und technischen Einschränkungen. Doch gerade die intensive Auseinandersetzung der Schöpfer mit dem schwierigen Objekt Stuhl brachte bahnbrechende Resultate.
Die Erkenntnis, dass ein Sessel nicht unbedingt vier Beine und ein festes Gestell haben muss um bequem zu sein, verdanken wir dem anthropomorphen Jubilar "Sacco". Er ist kein stolzer Stuhl, der uns bei jedem Blick auf ihn seine würdevolle Geschichte erzählt, uns Respekt einflößt und zu einem entsprechenden Umgang mit ihm ermahnt. In einer repräsentativen Lobby wäre er fehl am Platze, denn er verleitet zum Lümmeln. Mit Sacco dürfen wir spielen, obwohl und gerade weil er heute eine Design-Ikone ist.