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Standpunkte, Stimmen und Kommentare
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Kostbare Möbelstücke können nicht nur erfreuen, sondern auch ein übler Klotz am Bein sein. Moderne Vagebunden setzten auf leichtes und zur Not auch leicht zu entsorgendes Gepäck.
Es gab einmal ein Bett aus Pappe. Das stand in einer Studenten-Wohnung nahe der Bochumer Uni. Das Diplom kam und die Schlafstatt wanderte klein gepresst ins Altpapier. Dabei hatte die treue Seele die wildeste Zeit ohne größere Schäden überstanden.
So manchem "Otto" ist es Ende 60er und Anfang der 70er Jahre wohl ähnlich ergangen. Nicht aus Boßhaftigkeit seines Besitzers, sondern weil die Vergänglichkeit Teil seiner Idee war. Lange gab es unser Sitzstück No.11 nicht im Handel, doch ganz aktuell haben sich die Lörracher Firma Pulpo und sein Designer Peter Raake entschlossen, unseren Papp-Kameraden neu aufzulegen.
"Mensch, da ist der Otto in Ihrer Serie ja das Low-Budget-Modell!" so der Sprecher von Pulpo Patrick L'hoste. Recht hat er, denn mit Preisen zwischen 11.000 und 369,- Euro haben wir unsere Kasse ja bisher ordentlich geplündert. "Otto" dagegen ist ein Schnäppchen, denn ihn gibt es für genau 69,- Euro.
Jedes Produkt hat einen Anfang und ein Ende.
Das soll mal einer unterbieten. Schließlich haben wir es hier mit einem echten und offiziell anerkannten Designklassiker zu tun.
Neben den ganz Großen, wie zum Beispiel unserem Sitzstücke No.1 und No.7 steht der bescheidene "Otto" im Metropolitan Museum of Modern Art in New York und im Guggenheim Museum in Bilbao. Dabei ist er weder edel, noch kostbar oder von außergewöhnlicher Eleganz. Nun gut, wäre er elegant, hieße er vermutlich auch nicht "Otto", denn aus diesem Namen klingt viel Bodenständigkeit und er weißt deutlich auf des Sessels robuste Natur hin. Hören wir das Adjektiv "robust" im Zusammenhang mit Sitzmöbeln, so denken wir meist an massives Holz und auch an Stahl. Aber wir denken wohl nicht spontan an Pappe. Stellten wir an diesem Punkt das eben erwähnte Denken ein, so kämen wir nie hinter "Ottos" Geheimnis. Lassen wir allerdings den zweiten Gedanken zu und definieren unser Verhältnis zur Pappe an sich und unseren alltäglichen Umgang mit ihr im Besonderen, so erscheint Peter Raakes Konzept in einem nahezu gleißenden Licht vor unserem geistigen Auge.
Pappe ist stabil. Mehr noch, sie ist oft so stabil, dass sie uns den letzten Nerv raubt. Wer regelmäßig die kleinen und großen Hinterlassenschaften seiner Internet-Deals in die Altpapier-Tonne entsorgen muss, der weiß, dass er sich eigentlich das schweißtreibende Gewichte-Stemmen zur Straffung der Oberarme sparen könnte. Voraus gesetzt hier wird nicht mit dem Teppichmesser gemogelt, kostet das Zerreißen eines Kartons richtig Kraft.
Unser Sitzstück No.11 funktioniert genau auf diesem Stabilitätsprinzip. Der Sessel ist aus zweiwelliger Pappe in den Maßen 50cm x 74cm x 65cm gefertigt. Er ist federleicht und stapelbar. Außerdem schreit er förmlich nach einer Individualisierung. Er will bemalt oder beklebt werden, ganz nach den geschmacklichen Vorlieben seines Besitzers. Nass sollte er allerdings nicht werden. Diese Erkenntnis lehrt uns der angemoderte Umzugskarton, dessen Boden kurz vor dem Einladen in den geliehenen Van das zwölfteilige Kaffee-Geschirr in Richtung Asphalt freigibt.
Bewegen wir uns, so muss unser Besitz uns folgen können.
Doch Peter Raake, 1928 in Hanau geboren, schrieb eigentlich mit einem schlichten Besteck Geschichte. "Mono" heißt sein Entwurf vom klassischen Messer-Gabel-Löffel-Ensemble, das mit dem dekorativen Schnick-Schnack aufräumte und durch seine simple Funktionalität bestach. 1968 erdachte der Industrie-Designer unseren "Otto" als Teil einer Reihe der so genannten "Sitze für Besitzlose". Diese Möbelreihe war weltweit einzigartig, denn sie wurde erstmalig industriell und in Massenproduktion aus Wellpappe hergestellt.
Für junge und mobile Menschen im Auf- und Umbruch am Ende der 60er Jahre sollte das Sitzstück sein. Transportabel, funktionell, günstig und für alle Fälle platzsparend sprach sein Konzept Menschen an, die sich nicht mit Klötzen an den Beinen belasten wollten. Sitzen. Ja! Schwer Schleppen und das schwergewichtige Besitztum auch noch wahren. Nein! Doch "Ottos" Vergänglichkeit ist nicht beschlossen. Schützen wir unser Sitzstück No.11 also vor Nässe und Feuer, so wird es uns brav begleiten, ebenso wie das Studentenbett es einst getan hat.