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Standpunkte, Stimmen und Kommentare
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Fliegender Tomatensaft und seine Rezeption im Hier und Jetzt
Muss denn immer alles ausgeforscht, muss allem wissenschaftlich auf den Grund und analytisch unter die Pelle gegangen werden? Der menschliche Geist kann ein Mysterium nicht einfach ein Mysteriumn sein lassen. In alles muss er seine neugierigen Fingerchen stecken, alles sezieren und in seine Atome aufspalten bis alle Mythen im Eimer, alle Rätsel gelöst sind. Und er macht vor nichts halt.
Es sind die kleinen Geheimnisse, die kleinen unerklärlichen Phänomene, die unserem Leben Würze geben. Leider werden es immer weniger, denn der Mensch an sich hasst das Unerklärliche. Dabei sind wir doch glücklich mit unseren alltäglichen Rätseln:“Wenn ich nächste Woche nach München fliege, frage ich mal die Stewardess nach dem Tomatensaft. Der war so lecker! Es muss doch ‚rauszukriegen sein, von welchem Hersteller der ist.“
Doch prompt wird die bohrende Frage beim nächsten Flug verdrängt oder vergessen oder es gab keinen Tomatensaft. Diese Wechselspiel von Genuss, Neugier und Amnesie ist nur durch verzweifelte Käufe unterschiedlichster Safteditionen unterbrochen. Doch es will sich kein Aha einstellen. Nur Frust bleibt, denn keiner schmeckt wie der Eine.
Hätten sie doch ihr Schweigen gebrochen
In Flugzeugen unterhält man sich in der Regel nicht über die Güte von Gemüsesäften. Angeregte Diskussionen über die Aussicht, das Ziel, Turbulenzen, Flugkrankheit und die Vorzüge von Nacktscannern liegen hier näher. Das Essen, wenn es denn welches gibt, hat eher lebenserhaltenden als kulinarischen Charakter. Wozu also ein Wort darüber verlieren?
Hätte nur aber nur ein Zweifler sein Schweigen gebrochen, dann hätte er vielleicht erfahren, dass auch sein am Fensterplatz eingequetschter Nachbar den Tomatensaft ganz exquisit findet. Sie hätten sich austauschen können und vielleicht eine Freundschaft fürs Leben geschlossen. Sie hätten weitere Passagiere in ihr Gespräch einbeziehen können und vielleicht festgestellt, dass sogar denen der Saft gut schmeckt, die außerhalb eines Flugzeugs niemals Tomatensaft auch nur mit der Kneifzange anrühren würden. Sie wären stutzig geworden. Sie hätten Rückschlüsse ziehen können.
Aus dem Dunkel der Mystik ins Licht der Aufklärung
Doch zu banal ist der gesunde Trunk um diskussionswürdig zu sein. Und da alle Menschen in allen Fliegern seit Jahrzehnten ihr Geschmackserlebnis totschweigen, musste nun die Lufthansa die exorbitant hohe Tomatensaftnachfrage wissenschaftlich aufdröseln lassen. Als hätte eine Population von Erdmännchen Stricken gelernt, stürzen sich die einschlägigen Medien auf die Ergebnisse. Ob die Zeit, Spiegel Online, Bild.de oder die Taz, beim Tomatensaft sind sie sich ausnahmsweise alle einig. Artig und in handlicher Form streuen sie die Erkenntnisse des Fraunhofer-Institutes, ohne sich der Konsequenzen bewußt zu sein.
Die schlichte Tatsache, dass der Tomatensaft bei niedrigem Luftdruck besser schmeckt, weil alles andere schlechter schmeckt, ernüchtert zutiefst. Bäh, wie langweilig. Musste für diesem schnöden Wissen das wunderbare Geheimnis des fliegenden Saftes geopfert werden? Sämtliche Passagiere, die in der Vergangenheit die Supermärkte nach dem Übersaft durchforstet haben, stehen nun blöd da. Resignation wird sich breit machen. Der Verkauf von Tomatensaft wird weltweit stagnieren, Saftproduzenten werden Konkurs anmelden, Arbeitsplätze werden verloren gehen… Oftmals ist es besser Mythen zu bewahren. Und sei es nur, weil wir sie lieb gewonnen haben.