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Standpunkte, Stimmen und Kommentare
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Vor unserem ersten „Sitzstück“ wäre eine tiefe und respektvolle Verneigung angebracht, denn der Wassily-Sessel ist Kunst. So hat es das Landgericht Düsseldorf nach einem zweijährigen Prozess im September 1981 endgültig entschieden.
„B3“ nannte sein Schöpfer Marcel Breuer 1925 den Sessel lapidar. Erst mehr als 30 Jahre später sollte er den Namen „Wassily“ erhalten und bald dessen kühle Schönheit zu Weltruhm bringen.
„Was habe ich denn von der ganzen Kunst, wenn ich nicht drin sitzen kann?“ fragt der verstockte Zweifler, der sofort von zwei Seiten Prügel bezieht. Von links kommt der Purist, der Wassilys bahnbrechendes Design und seine Bedeutung als Gesamtkunstwerk preist. Von rechts zielt der Selbstdarsteller, der in den Wassily als Statussymbol investiert hat. Doch der verstockte Zweifler lässt sich nicht einschüchtern. „Gemütlich sieht der aber nicht aus!“ „Nein! Das soll er auch nicht!“, schreien der Purist und der Selbstdarsteller im Chor. „Es ist die Form und die Idee, die zählt. Dieser Sessel ist eine Ikone des Bauhauses.“ Lassen wir die drei weiterstreiten und wenden uns andächtig dem Objekt selbst zu, denn Material und Verarbeitung dieses Möbels waren in den 20er-Jahren revolutionär.
Erst Massenprodukt, dann Luxusobjekt und Statussymbol
Das verchromte Gestell aus Stahlrundrohr des Wassily verläuft in einer kontinuierlichen Linie von den seitlichen Kufen über die vorderen und hinteren Beine, Armlehnenbegrenzung und Querzargen. Zur Versteifung sind zwischen den vorderen und hinteren Beinen gerade Rohrstücke angeschraubt. Ein nach vorne offener Rahmen für den Sitz und ein nach unten offener Rahmen für den Rücken sind untereinander mit dem Grundgestell so verschraubt, dass sie den Sitzwinkel ergeben. Die feste Kernlederbespannung der Sitzfläche, der Rückenlehne und der Armlehnen haben Schlaufen, durch die die Rohre verlaufen.
Marcel Breuer war Leiter der Möbelwerkstatt am Bauhaus in Dessau als er 1925 den „B3“ für die Wohnung seines Kollegen Wassily Kandinsky entwarf. Bis 1934/35 produzierte die Firma Thonet den Sessel. Dann verschwand er vom Markt. Erst der Italiener Dino Gavina holte Anfang der 60er-Jahre den „B3“ aus seiner Versenkung und gab der Nummer einen Namen. Fortan gab es den Wassily als eine Hommage an den großen russischen Maler Kandinsky. 1968 übernahm Knoll – International Gavinas Produktionsstätte in Foligno nahe Perugia. Seitdem ist Knoll die einzige Manufaktur, die den echten und wahren Wassily-Sessel von Marcel Breuer produziert. Doch Knoll-International muss um seine Rechte kämpfen, denn wie z.B. die Rolex, ist der Wassily ein Statussymbol, das immer neue Plagiatoren und Kopisten findet.
Ein Fahrradlenker war die Inspirationsquelle für den „B3“
Der Purist beginnt wieder zu wettern: „Marcel Breuer hat sich von einem Fahrradlenker inspirieren lassen. Ist das nicht genial!“ Auch der Selbstdarsteller redet sich zunehmend in Rage: „Und außerdem hast du einen oder besser zwei Wassilys im Haus. Dann hast du Geschmack, dann bist du gebildet, und der Kenner sieht, dass ein kleines Vermögen in den Sesseln steckt.“ Breuer selbst hätte an diesem Streit wohl seine Freude, denn ein Gesamtkunstwerk in Form eines Sessels hatte er ganz bestimmt nicht im Sinn.
Der verstockte Zweifler runzelt die Stirn, denn die Ikone interessiert ihn noch weniger als das Bauhaus. Er wünscht sich einzig und allein einen Sessel, in dem er bequem sitzen kann. In einem Anflug von Wagemut macht er die Probe. Er lässt sich auf dem festen Kernleder nieder und rutscht sofort nach hinten. Die abgeschrägte Sitzfläche zwingt ihn, sich in die zweigeteilte Lehne fallen zu lassen. Mit ausgestreckten Armen hält er sich in den beiden Rundungen der Standwangen fest. Nun ist er angekommen. Er schlägt die Beine übereinander, und ein Lächeln erhellt sein sonst so mürrisches Gesicht. „Siehst Du!“, schreien der Purist und der Selbstdarsteller wieder im Chor. Unbeirrt legt er lässig seine Arme auf die ledernen Lehnen. Seine Augen suchen unvermittelt nach einem Buch oder einer Zeitung, denn der Zweifler möchte lesen.